Das Gehirn als System - Zwei Freiburger Hirnforscher erklären, was aktuell geforscht wird
Das Gehirn – ein komplexes Netzwerk mit Unterstrukturen, die ebenfalls Netzwerke sind. Foto: sdecoret
BZ: Die Hirnforschung weckt großes öffentliches Interesse. Viele dürften schon mal einen eingefärbten Kernspin-Hirnscan gesehen haben, bei dem sichtbar gemacht wurde, wo im Gehirn welche Funktion sitzen soll. Ist diese Vorstellung von Lokalisation noch aktuell?
Rotter: Teils, teils. Bestimmte Teile des Hirns sind zwar vorzugsweise für bestimmte Funktionen zuständig – ein Teil für Motorik, ein anderer für Sensorik, der nächste für Sprache. Aber gerade das Gedächtnis ist definitiv keine lokalisierte Eigenschaft. Davon abgesehen ist der funktionelle Kernspin eine sehr grobe Methode, bei der man mögliche Lokalisationen nur bedingt sehen kann.
Aertsen: Im Grunde messen wir dabei nur das lokale Catering, also wie viel Sauerstoff im Nachhinein zu den Zellen transportiert wird. Das besagt aber nur, wo ein paar Sekunden zuvor Aktivität war, nicht, was an der Stelle abgelaufen ist, oder ob andere Bereiche aktiv waren, ohne zusätzliches Catering gebraucht zu haben. Fest steht, dass Hirnkrankheiten nicht darauf zurückgehen, dass ein Kubikmillimeter Gehirn krank ist. Man muss viel größere Areale und Gruppen von Arealen betrachten, um Krankheiten des Hirns vernünftig zu beschreiben.